Bindungsangst – unter diesem Begriff kann sich fast jeder sofort etwas Konkretes vorstellen. Bindungsstörungen tatsächlich zu erkennen und gar zu überwinden, ist jedoch alles andere als einfach. Nicht umsonst sind sich viele Betroffene und deren Partner gar nicht bewusst, dass Beziehungsprobleme, die sie immer wieder quälen, hier ihren Ursprung haben.
Inhaltsverzeichnis
Was ist Bindungsangst?
Bindungsangst zeigt sich in der Schwierigkeit verbindliche Beziehungen in Partnerschaften einzugehen, die gleichermaßen von Symbiose und Autonomie geprägt sind.
Ursachen für Bindungsangst
Wie viele andere Angststörungen auch, entsteht Bindungsangst häufig durch Erfahrungen in der frühen Kindheit. Betroffen sind aber keineswegs nur Menschen, die unter schlimmen Umständen mit völlig überforderten oder lieblosen Eltern aufwachsen müssen.
Auch in geordneten Verhältnissen führen bestimmte Verhaltensweisen und Ausnahmesituationen bei sensiblen Kindern manchmal dazu, dass die Bindung an zentrale Bezugspersonen als nicht zuverlässig empfunden wird.
Wie entsteht Bindungsangst?
Übertriebener Ehrgeiz und hohe Erwartungen seitens Mutter und Vater können so beispielsweise dazu führen, dass wir als Erwachsene das Gefühl haben, nur dann geliebt zu werden – und sicher zu sein – wenn wir optimal funktionieren. Sich wirklich auf einen Partner einzulassen und Vertrauen in dessen bedingungslose Zuneigung zu finden, ist später extrem schwierig, wenn diese grundlegende Erfahrung in der Kindheit fehlt.
In anderen Fällen können Trennungserfahrungen durch lange Krankenhausaufenthalte, die Scheidung der Eltern oder Zeitmangel aufgrund von familiären bzw. beruflichen Umständen dazu führen, dass wir schon früh lernen, tiefe Bindungen zu vermeiden.
Warum habe ich Bindungsangst?
„Lieber nicht“, sagt das verletzte Kind in uns, selbst wenn wir längst erwachsen sind. „Es könnte ja wieder furchtbar wehtun.“
Tatsache ist: Mit Liebe und Hingabe geht immer die Gefahr einher, Schmerz und Verlust ertragen zu müssen. Menschen, die nicht unter Bindungsängsten leiden, wissen aber, dass sie das aushalten können. „Wenn mein Partner nicht mehr für mich da ist, werde ich sicher ganz schrecklich leiden“, sagen sie sich. „Aber irgendwann rapple ich mich wieder auf.“
Menschen mit Bindungsangst fehlt diese Zuversicht. Sie tragen immer noch das Gefühl aus Kindertagen in sich, völlig hilflos und verloren zu sein, wenn die jeweilige Bezugsperson nicht mehr verfügbar ist.
Dass sie als Erwachsene inzwischen ganz andere Möglichkeiten haben, mit schwierigen Lebenssituationen umzugehen und auch ohne Partner gut für sich selbst sorgen können, ist vielen zwar durchaus bewusst.
Die kindliche Erfahrung sitzt aber dennoch so tief, dass sie diese aus eigener Kraft nur selten überwinden können. Sie sehnen sich nach Nähe und versuchen durchaus, Beziehungen einzugehen, scheitern aber immer wieder an gewissen Punkten daran, sich wirklich einzulassen.
Holen Sie sich Hilfe, wenn Sie oder Ihr Partner an Bindungsangst leiden
Woran erkennt man Bindungsangst?
Für die Betroffenen und die Personen, die gern eine feste Partnerschaft mit ihnen haben möchten, ist dieses Problem oft gar nicht ohne Weiteres zu erkennen. Die allerwenigsten Bindungsängstlichen sind überzeugte Singles oder legen ihre Karten bei Beginn einer Beziehung offen auf den Tisch.
Die meisten haben als Erwachsene unterbewusste Strategien entwickelt, um ihr Bedürfnis nach Nähe und Miteinander halbwegs zu erfüllen und sich dabei trotzdem nicht in allzu große Gefahr zu begeben.
Das Ergebnis sind lauwarme Beziehungen, die zwar manchmal sogar lange andauern können, denen es aber an Tiefe fehlt und die keine stabile Basis für den Aufbau einer gemeinsamen Zukunft bieten. Menschen, die sich mit beziehungsängstlichen Personen eine liebevolle Bindung wünschen, merken oft erst viel zu spät, in welcher verfahrenen Situation sich ihr Partner und damit auch sie selbst eigentlich befinden.
Das liegt unter anderem daran, dass die erste Verliebtheitsphase mit solchen Menschen kaum von der in „normalen“ Beziehungen zu unterscheiden ist: Alles ist aufregend und neu, man lernt sich kennen und erlebt viele schöne Dinge miteinander.
Dass es ihrem Partner schwerfällt, richtige Liebe und Vertrauen zu entwickeln, ignorieren die meisten zunächst. „Ist doch klar, dass so etwas dauert“, sagen sie sich. Eine Hoffnung, die auch viele bindungsängstliche Partner nur allzu gern bestärken, um den „ungefährlichen“ Status quo noch möglichst lange zu erhalten.
Bindungsangst: Symptome
„Bitte gib mir etwas Zeit“, sagen sie der Affäre, die dann doch niemals zur Beziehung wird – “lass uns eine offene Beziehung führen”. „Ich bin durch die Arbeit gerade so eingespannt, aber wenn wir erstmal Urlaub haben, machen wir es uns richtig schön“, muss sich die Freundin anhören, die sich nach mehr Nähe und Liebe im Alltag sehnt.
„Was willst du eigentlich von mir?“, fragt der Ehemann, der es sich in seiner Partnerschaft mit allen Vorzügen, aber ohne tiefe Gefühle über die Jahre längst bequem gemacht hat.
Solche Situationen auf Bindungsängste zurückzuführen, diese zu reflektieren, zu verarbeiten und Alternativen zu erkennen und umzusetzen, erscheint für die betroffenen Paare aus eigener Kraft und ohne Hilfe in der Regel fast unmöglich.
Schließlich klingen die Ausflüchte der Bindungsängstlichen ja auch völlig rational. Oft sind es eher die bindungsbereiten Partner, die sich selbst und ihre Wünsche in Frage stellen: „Vielleicht muss ich ja noch schöner, interessanter, erfolgreicher etc. sein, damit er oder sie mich liebt“, fragen sie sich.
Welche Formen von Bindungsangst gibt es?
Um Bindungsangst zu erkennen muß man manchmal ganz genau hinschauen, denn es gibt eigentlich zwei Formen von Bindungsangst. Ein passiv bindungsängstlicher Partner wird eher klammern und ein aktiv bindungsängstlicher Partner wird immer wieder auf Distanz gehen. Beiden gemeinsam ist aber, dass sie Angst vor zu viel Nähe und Intimität haben.
Oft treffen auch aktiv und passiv bindungsängstliche Partner aufeinander und ergänzen sich damit in sehr leidenschaftlicher Weise – einer, die eben sehr viel Leiden schafft.
Symptome passiver Bindungsangst
- Die Phase des Verliebtseins scheint ewig und ohne den Partner kann man nicht sein
- Ständige Erreichbarkeit des Partners ist wichtig und Verzweiflung und/oder Eifersucht, wenn er nicht sofort auf eine SMS oder einen Anruf antwortet
- Man erlebt sich abhängig vom Partner und dessen Launen
- Gedanken an den Partner und dessen Ambivalenz beschäftigen ständig
- Sorgen, Unsicherheit und Angst den Partner zu verlieren
- Ständiges Hoffen, dass der Partner sich endlich mal zu einem ganz bekennt
- Versuche des Partners sich verbindlich zu zeigen, reichen nicht aus
- Man macht sich Vorwürfe, dass es an einem selbst liegt, dass der Partner sich nicht einlässt; daraus entsteht ein vergeblicher Versuch alles richtig und dem Partner alles recht zu machen
Symptome aktiver Bindungsangst
- Immer auf der Suche nach dem perfekten Partner
- Wenn der Partner erstmal als “sicher” erscheint, beginnen die Zweifel, ob es wirklich der Richtige ist; große Zweifel treten auf und überall werden Schwächen beim Partner entdeckt
- Nähe und Distanz müssen einseitig kontrolliert werden
- Man macht sich rar und ist häufig nicht erreichbar für den Partner
- Gemeinsame Unternehmungen, Verabredungen werden immer wieder abgesagt und Gespräche über eine gemeinsame Wohnung oder Zukunft werden zunehmend genervt abgewürgt
- Man erlebt ein unangenehmes Gefühl wenn der Partner “zu lang” in der eigenen Wohnung ist oder Wohnaccessoires dort hinein bringen möchte
- Häufige Gedanken an und Androhung von Trennung
- Im Kontakt mit dem Partner schaltet man innerlich oft emotional ab
- Sexualität mit dem Partner wird immer mehr vermieden
Bindungsangst: Test
Bitte schätzen Sie ein, welche der folgenden Aussagen auf Sie zutreffen.
- Ich habe bereits viele Beziehungen hinter mir. Der oder die Richtige war noch nicht dabei.
- Mein großes Bedürfnis nach Sicherheit hat frühere Partnerschaften belastet.
- Ich verliebe mich häufig in Personen, die meine Liebe nicht erwidern.
- Nach einer Trennung bin ich nie lange allein.
- Manchmal gehe ich Beziehungen ein, ohne richtig verliebt zu sein.
- Freiräume sind mir sehr wichtig. Frühere Partner wollten mich häufig einengen.
- Ich nehme mir immer wieder vor, meinem Partner nicht mehr nachzulaufen.
- Meine Gefühle sind oft widersprüchlich. Manchmal weiß ich selbst nicht genau, was ich fühle.
- Ich erlebe Beziehungen häufig als Machtspiel.
Sofern Sie 4 oder mehr Aussagen zustimmen, sind Sie möglicherweise von Bindungsängsten betroffen.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Sie auf ein erfülltes Liebesleben verzichten müssen. Stellen Sie sich Ihren Ängsten und holen Sie sich Unterstützung, um destruktive Verhaltensweisen zu überwinden. Ich empfehle Ihnen, sich näher zu dem Thema zu belesen und unverbindlich einen Psychotherapeuten oder Paartherapeuten in Ihrer Nähe zu kontaktieren.
Welche Folgen hat Bindungsangst?
Erschöpft merken sie oft erst nach langer Zeit, wie sie sich im Wettlauf mit sich selbst zunehmend verlieren, ohne im Partner etwas zu bewegen oder der Beziehung eine positive Richtung zu geben. Je nachdem, wie groß die Sehnsucht nach Liebe und Bestätigung bei ihnen ist, trennen sie sich irgendwann oder machen trotzdem weiter – mit der Gefahr, durch den Kummer und Stress in der unbefriedigenden Beziehung langfristig selbst Schaden zu nehmen.
Für den bindungsängstlichen Partner ist der Leidensdruck meistens weniger groß. Die Beziehung auf Sparflamme bietet ihm – zumindest auf der Oberfläche – genau das, was er braucht: jemanden, der nach außen hin an seiner Seite steht und ihn umsorgt, ohne dass er zu große Verpflichtungen eingehen muss und jemanden, der sein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, körperlicher Nähe und gemeinsamen Erlebnissen erfüllt, ohne dass irgendeine Form von emotionaler Abhängigkeit entsteht.
Was er oder sie dabei verpasst und wie sich eine Beziehung anfühlt, die auf echter Liebe, Vertrauen und Hingabe basiert, ahnen die Betroffenen oft kaum. Genau deshalb fehlt ihnen eben auch nichts. Fast jedenfalls.
Therapie: Bindungsangst überwinden
So sehr sich Menschen mit Bindungsangst gegen Nähe und feste Beziehungen sträuben, weil sie diese mit Schmerz und Unbehagen verbinden, so haben doch viele von ihnen gleichzeitig eine diffuse Sehnsucht danach.
Die Erfahrung zeigt: Der Anstoß durch einen liebevollen Partner kann ihnen tatsächlich helfen, bewusster mit dem Thema umzugehen und sich für ein intensiveres Leben zu öffnen. Sich Unterstützung durch einen Therapeuten zu holen, der sich mit Bindungsstörungen auskennt, ist dann der nächste wichtige Schritt.
Paartherapie bei Bindungsangst
In meiner Praxis für Paartherapie in München finden Menschen, die ihre Bindungsängste überwinden möchten und sich eine erfüllende Partnerschaft wünschen einen geschützten Raum, um über Erfahrungen und Gedanken zu sprechen.
Sie können mit Ihrem Partner gemeinsam eine Paarberatung in Anspruch nehmen oder sich in Einzelgesprächen Unterstützung holen. Nach einem ersten unverbindlichen Kennenlernen schauen wir zusammen, was in Ihrem individuellen Fall weiterhilft.
Mein Ansatz als Therapeut ist es nicht nur, mit Ihnen die Erlebnisse aus der Vergangenheit aufzuarbeiten, sondern Sie im Hier und Jetzt dabei zu unterstützen, Ihr Leben so zu gestalten, wie es Ihnen entspricht und Sie glücklich macht.
Bindungsangst – wie verhalte ich mich als Partner?
Das Angebot gilt natürlich ebenso für Partner von Bindungsängstlichen. Verlassen Sie den Teufelskreis, in dem Sie sich Ihrem Partner immer stärker anpassen und doch nichts erreichen, außer Ihn möglichweise noch mehr abzuschrecken.
Warten Sie nicht, bis die destruktive Dynamik Ihr Selbstbewusstsein und Ihre seelische Gesundheit ebenfalls zerstört. Gemeinsam oder in Einzelgesprächen lernen Sie, wie Sie die Situation zum Guten wenden und eine Beziehung aufbauen, in der Sie beide Sie selbst sein können.
FAQ: Bindungsangst
Diese Fragen tauchen häufig im Umfeld von Bindungsangst auf.
Woher kommt Bindungsangst?
Liebe macht verletzlich. Das spüren auch schon kleine Kinder. Um den schlimmen Schmerz nicht noch einmal durchleben zu müssen, der mit tiefgreifenden familiären Konflikten, Trennungen oder gar dem Tod eines geliebten Menschen einhergeht, versuchen Betroffene enge Bindungen im späteren Leben zu vermeiden.
Wie verhalten sich Männer mit Bindungsangst?
Viele Männer sind von aktiver Bindungsangst betroffen. Sie lassen Nähe und Romantik anfangs zwar durchaus zu – denn auch sie sehnen sich insgeheim nach Liebe. Wenn die Gefühle wachsen, treten sie jedoch schnell den Rückzug an. Sie sind nicht bereit, zu ihrer Partnerin zu stehen und sich längerfristig zu verpflichten.
Warum haben Männer Bindungsangst?
Kleine Jungen sind besonders stark auf die liebevolle Aufmerksamkeit ihrer Mutter fixiert. Führt diese Beziehung zu schweren Enttäuschungen oder Verlusterfahrungen, entwickeln sich im späteren Leben häufig Bindungsängste. Anders als Frauen nehmen Männer dabei seltener Hilfe in Anspruch. So bleiben ihre Ängste unausgesprochen, unbearbeitet und oft auch unbewusst.
Wie gehe ich mit Bindungsangst um?
Bindungsängste sitzen oft sehr tief. Sie zu überwinden, kostet viel Mut, Kraft und Selbstreflexion. Dem Partner nachzulaufen, führt oft nur dazu, dass er sich noch weiter zurückzieht. Nehmen Sie am besten Kontakt zu einem Psychotherapeuten oder Paartherapeuten auf, wenn Bindungsängste Ihre Beziehung belasten.
Erstellungsdatum:
30.11.2018
Autor:
Markus Breitenberger, Paartherapeut und Sexualtherapeut in München und Autor von zahlreichen Büchern, Fachartikeln und Blogbeiträgen zu Themen rund um Gesundheit und Paarbeziehung. Experte für Paarberatung bei diversen Zeitschriften.