„Was hilft mir, gesund zu bleiben?“ Die Salutogenese fragt nicht, warum Menschen krank werden, sondern warum sie trotz vieler Risikofaktoren fit und ausgeglichen sind. Sie untersucht, welche Einflüsse uns derart stärken, dass wir selbst schwere Belastungen ohne gesundheitsschädliche Auswirkungen bewältigen können. Als Heilpraktiker und Therapeut ist es mir wichtig, meinen Patienten nicht nur dann zu helfen, wenn sie bereits krank sind, sondern ihre persönlichen Abwehrkräfte – ihre sogenannte Resilienz – zu fördern.
Inhaltsverzeichnis
Definition: Resilienz
Resilienz (lat. resilire: zurückspringen‚ abprallen) meint die Widerstandsfähigkeit eines Menschen gegenüber psychischen Krisen, sozialen Konflikten und potentiellen Krankheitsauslösern.
Entscheidend dabei sind die individuellen genetisch verankerten und erlernten Ressourcen, wie Bindung, Zuversicht und Stressregulation. Resilienz ist damit maßgeblich beteiligt am Grad der Gesundheit, die ein Mensch erreichen kann.
Wie entsteht Resilienz?
Wenn Menschen von Beginn des Lebens an ein Gefühl dafür bekommen, dass sie selbst etwas bewirken und erreichen können (Selbstwirksamkeit), wenn sie einen Sinn in ihrem Handeln erkennen können und wenn sie ein Gefühl der Verbundenheit mit ihrer Umwelt erfahren – dann können sie besser mit widrigen Umständen umgehen und ihre physische und psychische Gesundheit ist belastbarer.
Menschen, die das nicht von Anfang an erleben durften, können das – unter erschwerten Bedingungen – durch vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Menschen und/oder Psychotherapie im späteren Leben nachreifen lassen (“earned secure”).
Salutogenese Modell
Es gibt also drei Bedingungen, die einen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheit eines Menschen haben. Das fand der Soziologe Aaron Antonovsky während seiner Forschungsarbeiten mit Überlebenden aus Konzentrationslagern des zweiten Weltkrieges heraus. Er benannte diese Bedingungen oder Fähigkeiten, die eine wichtige gesundheitsbezogene Ressource darstellen als Kohärenzsinn ( zu Deutsch der „Sinn der Zusammenhänge”). Er entsteht in Menschen, wenn sie ihre Welt erleben als:
- vorhersehbar
- handhabbar
- sinnhaftig
Das Salutogenese-Modell besagt, dass diese drei Punkte entscheiden, inwieweit ein Mensch mit Stressoren in seiner Umwelt umgehen kann und welcher Freiheitsgrad diesem Menschen in seinen Gedanken, Gefühlen und Handlungen zur Verfügung steht.
Gesundheit und Krankheit sind im salutogenetischen Modell zwei Pole eines labilen Gleichgewichts. Wir Menschen befinden uns dazwischen mal mehr auf der einen und mal mehr auf der anderen Seite. Wie wir uns mehr in Richtung Gesundheit bewegen können, also resilienter werden können, zeigen Forschungsergebnisse aus dem Wissenschaftsbereich der Salutogenese.
Definition: Salutogenese
Salutogenese ist ein wissenschaftliches Modell, das die Entstehung und Erhaltung von Gesundheit untersucht. Entwickelt wurde das Konzept der Salutogenese durch den Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (1923- 1994). Kennzeichnend für die salutogenetische Forschung ist eine positive, lösungsorientierte Fragestellung:
- Woher kommt Gesundheit?
- Wie kann ich meine Gesundheit stärken?
- Warum bin ich gesund geblieben, wo alle um mich herum erkrankt sind?
Salutogenese – was ist das?
Die salutogenetische Orientierung gibt die Vorstellung auf, der Mensch sei entweder gesund oder krank – wobei Krankheit eine Abweichung vom Normalzustand bedeutet. Vielmehr sind Gesundheit wie auch Krankheit charakteristisch für menschliches Leben.
Der Wechsel zwischen Gesundheit und Krankheit wird als notwendiger Normalzustand betrachtet. Denn Fakt ist: Im Leben ist nicht alles planbar, berechenbar und sicher. Gerade deshalb ist es wichtig, zu lernen, sich auf Herausforderungen einzulassen und mit diesen konstruktiv umzugehen. Das gilt auf der seelischen Ebene ebenso wie für unser Immunsystem.
Salutogenese – was hält den Menschen gesund?
Es reicht also nicht, schwierigen Lebensprozessen oder Krankheitserregern aus dem Weg zu gehen. Oft genug ist das auch schlichtweg nicht möglich. Im Gegenteil, gute Abwehrkräfte und geistige Stabilität gewinnen wir gerade durch die Auseinandersetzung mit dem allgegenwärtigen Fremden, mit Konflikten und Stressfaktoren. Sie helfen uns, die Grenzen unserer seelischen und körperlichen Belastbarkeit kennenzulernen und auszudehnen.
Anstelle einer Wunderwaffe gegen Krankheit müssen wir nach Quellen suchen, die eine aktive Anpassung unseres Organismus an die Herausforderungen der Umwelt fördern.
Leben, Lernen und Wachstum können nicht ohne aktive Anstrengung und Auseinandersetzung vollzogen werden. Und tatsächlich kann man sogar soweit gehen zu sagen, dass Stress und schädliche Umweltreize uns Menschen bis zu einem gewissen Grad nützen für eine Entwicklung in Richtung körperlicher Gesundheit und persönlicher Reife.
Diese Hypothese wurde schon von Paracelsus (1493-1541) formuliert, dass allein die Dosis entscheidet, ob etwas Gift oder Medizin sei. Bestätigt wird das in aktuellen Untersuchungen zum Prinzip der Widerstandskraft, auch Hormesis genannt.
Salutogenese und Pathogenese – zwei Seiten der Medaille
Somit ist die Salutogenese ein Gegenstück zur Pathogenese, welche die Entstehung von Krankheit beschreibt. Entsprechend der „Fluss-abwärts-Perspektive“ versucht die konventionelle Medizin, Ertrinkende aus einem reißenden Fluss zu bergen, so beschreibt es der Soziologe Aaron Antonovsky.
Dieser Aufgabe zugetan, werden Augen und Bewusstsein niemals auf das gerichtet, was stromaufwärts passiert – darauf, wer oder was all die Menschen in den Fluss stößt.
Dieses Bild soll Ihnen im Folgenden helfen, die konventionelle Pathogenese, also die Frage „Was hilft im Falle von Krankheit?“ von der Salutogenese im Sinne von „Was können wir tun, um gar nicht erst in den reißenden Strom zu fallen?“ leichter zu unterschieden.
Definition: Pathogenese
Pathogenese beschreibt die Entstehung und Enwicklung von physischer oder psychischer Krankheit (patho- = krankhaft / genesis = Entstehung).
Ausgangspunkt für diesen krankhaften Prozess ist die sog. Ätiologie, d.h. die Krankheitsursache. Eine Klärung der Ätiologie der Erkrankung ist also Voraussetzung für eine gesicherte Aussage über die Pathogenese.
Pathogenese – was ist das?
In der Pathogenese ist die Krankheit im Fokus. Das Problem das dabei entstehen kann, ist: durch die Fixierung auf das Problem wird der Blick nicht selten verstellt für die positiven, sinnvollen und lebenswerten Eigenschaften des Lebens, die gefördert werden müssten.
So hat sich in der Medizin das Paradigma der Pathogenese über Jahrhunderte durchgesetzt und eine Schar von Experten für Krankheit hervorgebracht, die oft keine Ahnung von der individuellen Gesundheit ihrer Patienten haben. Es wird die Frage gestellt, was krank macht und wie Prävention und Therapie dagegen helfen.
Folglich wird nach dem verursachenden Erreger, dem helfenden Antibiotikum oder der vorbeugenden Impfung gesucht. Typisch für das pathogenetische Prinzip ist der Rat: Impfe dich gegen alle möglichen Erreger, vermeide jeden Stress und Ärger, lasse dich krankschreiben oder nimm eine Tablette bei jedem Unwohlsein.
Grenzen der modernen Medizin
Doch die Medizin ist mit dieser Denkart und den daraus erwachsenden Konsequenzen an ihre Grenzen gestoßen. Zum einen werden die Menschen zwar immer älter, leiden aber auch in einem nie dagewesenen Maß an chronischen Erkrankungen und sind dadurch nicht wirklich gesünder als in früheren Zeiten.
Was den meisten Menschen zur Gesundheit fehlt, ist das Gefühl sich in dieser sich rasend schnell verändernden Welt zurechtzufinden, sich aufgehoben zu fühlen und in all den immer unpersönlicher werdenden Alltagshandlungen noch einen menschlichen Sinn zu erkennen.
Zum anderen sind die im Gesundheitswesen gestiegenen Leistungen und Kosten nicht mehr finanzierbar. Dadurch entsteht die Notwendigkeit, Methodik und Gültigkeit der gegenwärtigen Medizin zu überprüfen und andere Ansätze zu untersuchen.
Pathogenese (Was macht krank?) und Salutogenese (Was macht gesund?) haben beide ihre Berechtigung in medizinischen Untersuchungen, jedoch wurde die Aussagekraft pathogenetischer Forschung für lebende Organismen auf Kosten der salutogenetischen Forschung seit Jahrhunderten deutlich überschätzt.
Um auf das Sinnbild von Aaron Antonovsky zurückzukommen: Die entscheidende salutogenetische Frage untersucht, wie man ein guter Schwimmer wird, wo immer man sich in dem Fluss befindet, dessen Natur von historischen, soziokulturellen und physikalischen Umweltbedingungen bestimmt wird.
Was nun erleichtert mir das selbstständige Schwimmen im Lebensstrom? Was erhöht die Anpassungsfähigkeit an Lebensbedingungen, die nicht immer angenehm sind? Was führt zu einer Gesundheit, die auch mittel- und langfristig den Anforderungen des Lebens gerecht wird?
Für mich als Heilpraktiker und Psychotherapeut bedeutet Gesundheit heil sein im Sinne von ganz sein. Dazu gehört, im Einklang mit sich und seiner Umwelt zu sein und zu einem Gefühl für den Zusammenhang alles Seienden zu gelangen.
Krankheit ist stets die Folge von Desintegration einzelner Prozesse, Funktionen oder Substanzen im Organismus. In dieser Hinsicht sind vor allem die Forschungsergebnisse von Aaron Antonovsky und Abraham Maslow von entscheidender Bedeutung.
Salutogenese nach A. Antonovsky (1923-1994)
Antonovsky gilt als Vater der Salutogenese. Er formulierte seine Theorie nach medizinsoziologischen Untersuchungen an Überlebenden des Holocausts, die wider Erwarten seelisch und körperlich gesund blieben und überprüfte diese erstaunlichen Erkenntnisse später an Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen und soziokulturellen Kreisen.
Sein Streben war, verbindliche Voraussetzungen herauszuarbeiten, die scheinbar gesunden und zufriedenen Menschen zu eigen sind, um eben diese Eigenschaften zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit fördern zu können.
Aaron Antonovsky: Salutogenese, 1997
Abraham Maslow (1908-1970)
Der Psychologe Abraham Maslow hat sich die Frage gestellt, warum gesunde Menschen so wenig beachtet werden. Vielleicht, so meinte er, könnte man von ihnen Erkenntnisse gewinnen, um gesünder zu werden.
So startete er eine mehrjährige Studie, um das Wesen der Gesundheit an gesunden Menschen zu erforschen: „Als ich begann, die psychische Gesundheit zu untersuchen, wählte ich die hervorragendsten und gesündesten Personen aus (…) und untersuchte ihre Eigenschaften. Sie waren sehr anders, in mancher Hinsicht überraschend anders als der Durchschnitt.“
Seine Ergebnisse sind beeindruckend und seiner Forschung zufolge zeichnen sich gesunde Menschen durch die folgenden Merkmale aus:
- Sie besitzen eine bessere Wahrnehmung der Realität, haben also die Fähigkeit, Menschen und Sachverhalte richtig zu beurteilen
- Sie können sich selbst, andere und die Natur akzeptieren, sie lehnen Künstlichkeit, Angeberei und Heuchelei ab
- Sie besitzen Natürlichkeit, Spontanität, Einfachheit sowie Bescheidenheit, sie lassen sich durch Konventionen von individuellen Lebensaufgaben nicht abhalten
- Sie sind problem-, sach- sowie themenorientiert und nicht ich-orientiert
- Sie haben ein Bedürfnis nach Privatheit und können ohne Unbehagen allein sein
- Sie sind autonom, aktiv, leistungs- und wachstumsorientiert und dadurch relativ unabhängig von ihrer physischen und sozialen Umwelt
- Sie besitzen eine unverbrauchte Wertschätzung, grundlegende Lebensgüter werden mit Ehrfurcht, Freude, Staunen geschätzt
- Sie wurden von mystischen Erfahrungen geprägt, viele haben die Erfahrung eines Ich-Verlusts und der Transzendenz durch sogenannte „Gipfelerlebnisse“ gemacht
- Sie besitzen Gemeinschaftsgefühl, d.h. ein tiefes Gefühl der Identifikation, Sympathie und Zuneigung für andere
- Sie können die Ich-Grenze überschreiten und intensive interpersonelle Beziehungen knüpfen
- Sie haben eine demokratische Charakterstruktur und sind in diesem Sinne freundlich im Umgang mit Menschen ungeachtet von Klasse, Rasse, Erziehung, Glauben
- Sie besitzen eine starke ethische Veranlagung, d.h. feste moralische Normen, keine chronische Unsicherheit hinsichtlich des Unterschieds zwischen richtig und falsch
- Ihr Humor ist philosophisch, sie lachen nicht über feindselige, verletzende oder Überlegenheitswitze
- Gesunde Menschen sind ohne Ausnahme kreativ und leisten Widerstand gegen Anpassungsdruck
Selbstverantwortung als Basis von Gesundheit
Diese Forschungsergebnisse sind ein erster Meilenstein für eine gesündere Zukunft, in der Gesundheit wieder mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit ist, und die vor allem wieder durch mehr Selbstverantwortung geprägt sein muss.
Es zeigt sich die Verantwortung, die wir in der Erziehung unseres Selbst und unserer Kinder tragen. Gesundheit scheint damit keine Illusion mehr zu sein, die wir nur von außen erfüllt zu bekommen wünschen, sondern ein innerer Auftrag zur Erfüllung unseres menschlichen Potentials, den wir aufgefordert sind, aktiv zu verwirklichen. Ein Prinzip, das über die Medizin hinaus auf nahezu alle Bereiche des menschlichen Lebens übertragen werden kann.
Diese Selbstverantwortung zu übernehmen und Orientierung bei den nächsten Schritten hin zu einer stabilen Gesundheit zu finden, bereitet dennoch vielen Menschen Schwierigkeiten. Als Heilpraktiker und Psychotherapeut mit langjähriger Erfahrung im Bereich Salutogenese begleite ich Sie gern auf Ihrem Weg.
Salutogenese – das Geheimnis der Gesundheit (DVD)
Interview mit Geralt Hüther und Rüdiger Dahlke
Erstellungsdatum:
10.01.2011
Autor:
Markus Breitenberger, Heilpraktiker und Klassischer Homöopath in eigener Praxis seit über 20 Jahren. Autor von 2 Gesundheitsratgebern im GU-Verlag und zahlreichen medizinischen Fachartikeln.
Quellen:
Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit (Aaron Antononovsky)
Handbuch der Salutogenese. Konzept und Praxis, Ullstein Medical Verlagsgesellschaft, Wiesbaden, 1998